Lukas Beichler | 13.08.2024 | Interviews |
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„Mäßigung bedeutete für Burke, die eigenen Ziele nicht absolut zu setzen“
Interview mit Matthias Oppermann über den Staatsmann und Philosophen Edmund Burke
Der Brite Edmund Burke (1729–1797) gilt als Klassiker der politischen Theorie, ein Hinweis auf seine „Reflections on the Revolution in France“ fehlt in kaum einem Handbuch zur Ideengeschichte. Das politische Wirken Burkes ist demgegenüber zumindest hierzulande deutlich weniger bekannt. Burke war knapp dreißig Jahre Abgeordneter des House of Commons und lange Zeit Vordenker der „Rockingham Whigs“, einer der einflussreichsten Gruppierungen der britischen Politik in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts. Als Parlamentarier opponierte Burke in unzähligen Reden und Pamphleten gegen das, was er als Machtmissbrauch ansah – Burkes „great melody“, wie der irische Dichter William Butler Yeats schrieb. Der Historiker Prof. Dr. Matthias Oppermann, Konrad-Adenauer-Stiftung, hat nun eine Biografie verfasst, die den Philosophen und den Staatsmann Edmund Burke gleichermaßen in den Blick nimmt. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
„Ein in der Aufklärung verwurzelter, orthodoxer Whig“
L.I.S.A.:Herr Professor Oppermann, die englischsprachige Forschungsliteratur zu Edmund Burke lässt sich kaum mehr überblicken. Sie haben nun eine konzise Darstellung zu Burkes Leben und Denken auf Deutsch verfasst. Woher rührt Ihre Beschäftigung mit Edmund Burke und was hat Sie veranlasst, diesen britischen Denker einem deutschsprachigen Lesepublikum nahe zu bringen?
Prof.Oppermann:Mit Burke habe ich mich zum ersten Mal in meiner Habilitationsschrift eingehend auseinandergesetzt. In der Arbeit sollte es um die Entwicklung des britischen Liberalkonservatismus in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts gehen. Ich habe dabei aber schnell gemerkt, dass ich das Denken der Liberal-Tories beziehungsweise später Liberal-Conservatives nicht ohne Burkes politische Philosophie untersuchen kann. Burke selbst war kein Liberalkonservativer im Sinne des 19.Jahrhunderts, aber eine Art Stichwortgeber für diese Strömung. Ein Drittel der Habilitationsschrift ist daher seinem Denken gewidmet. Schon als ich diesen Teil geschrieben habe, hatte ich die Idee, dass es lohnend wäre, Burke einem breiteren deutschsprachigen Publikum neu vorzustellen. Die letzte – übrigens sehr gute – deutschsprachige Biographie – über ihn ist schließlich bereits 1966 erschienen. Angesichts der Verzerrungen, die es in der deutschen Burke-Rezeption seit Friedrich Gentz gibt, hielt ich es außerdem für nötig, durch eine Schilderung von Burkes Biographie und eine kurze Analyse seines Denkens einige Vorurteile auszuräumen, etwas dass Burke der „Vater des Konservatismus“ gewesen sei.
L.I.S.A.:Schon die Zeitgenossen konnten sich nur schwer auf Burke einen Reim machen: Den einen galt er als irischerEmporkömmling, ja Kryptokatholik, anderen als der größte Parlamentarier seiner Zeit. Die Nachwelt hat ihn mal als Stammvater des Konservatismus bezeichnet, mal einen Vordenker des Liberalismus in ihm gesehen, bisweilen auch einen frühen Kolonialismuskritiker. Wie kommt es, dass Burke mit so unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Etiketten belegt wurde? Wie wird man Burke heute aus einer geschichtswissenschaftlichen Sicht gerecht?
Prof. Oppermann:Burke hatte eine komplexe Identität. Er gehörte zur Gruppe der Anglo-Iren, war also ein protestantischer Ire, der sich kulturell als Engländer und politisch als Brite fühlte. Sein Vater gehörte der protestantischen Staatskirche an, während seine Mutter katholisch war. Daher der Vorwurf, er sei ein heimlicher Katholik. In Wirklichkeit war er ein überzeugtes Mitglied der Church of England mit wenig ausgeprägten dogmatischen Überzeugungen, wandte sich aber gegen die politische Entrechtung der Katholiken nicht nur in Irland. Da er zudem noch aus der Mittelklasse stammte, und im Grunde nie über die Mittel verfügte, die notwendig waren, um politisch tätig zu sein, war er eine ideale Zielscheibe für seine politischen Gegner. Man wird ihm nur dann gerecht, wenn man ihn als einen im Zeitalter der Aufklärung verwurzelten orthodoxen Whig betrachtet, dessen politisches Hauptziel der Verteidigung der Ergebnisse der Glorious Revolution war.
„Reform als Mittelweg zwischen Stillstand und Aktionismus“
L.I.S.A.: Als zentrales Prinzip, das sich durch Burkes Denken zieht, bezeichnen Sie das Ideal der Mäßigung. Was verstand Burke darunter und wie sollte sich dieses Ideal im politischen Handeln auswirken?
Prof. Oppermann:Wie für Aristoteles oder andere klassische Philosophen war die Mäßigung für Burke eine charakterliche und eine politische Tugend. Hier liegt der konservative Aspekt seines Denkens. Sein Konservatismus ist im Grunde nichts anderes als ein Plädoyer für Mäßigung, betrifft also die Herangehensweise an die Politik. Als Whig ging es ihm darum, die britische Verfassung zu bewahren, weil nur sie die ererbten Freiheiten der Engländer garantieren konnte. Bewahrt werden konnte die Verfassung aus seiner Sicht aber nicht durch ein starres Beharren, sondern nur durch Reformen – immer dann, wenn sie nötig waren. Seine Vorstellung von Reform ist ein Mittleres zwischen einer Politik des Stillstands und politischem Aktionismus. Mäßigung bedeutet für ihn außerdem, sich selbst zurückzunehmen, die eigenen Ziele nicht absolut zu setzen und gradualistisch vorzugehen. Konstitutionell drückt sich das in seiner Befürwortung der englischen Mischverfassung aus, in der sich monarchische, aristokratische und demokratische Elemente zu einem gemäßigten Ganzen verbinden. Alles in allem war er der Ansicht, dass die Reichweite von Politik begrenzt sein müsse.
L.I.S.A.:1774 versuchte Burke mit seiner berühmten „Speech on Conciliation with America“ den drohenden Krieg mit den Dreizehn Kolonien abzuwenden, indem er das Parlament zu einem Einlenken gegenüber den Kolonisten aufrief. „Magnanimity“, Großherzigkeit, sei das Gebot der Stunde, um das Empire zu retten. Später hat Burke mehr als ein Jahrzehnt lang den Machtmissbrauch der East India Company in Indien angeprangert. Welche Vorstellungen hatte Burke von den imperialen Beziehungen und haben diese in der späteren Politik des „British Empire“ einen Niederschlag gefunden?
Prof. Oppermann:Bevor Burke begann, sich näher mit Indien zu befassen, sah er das Empire nicht als Kolonialreich. Das Empire war für ihn das mehrgliedrige Herrschafts- und Siedlungsgebiet der Briten, bestehend aus Großbritannien, Irland und den Siedlungskolonien in Nordamerika. In den Dreizehn Kolonien lebten zwar Amerikaner, aber diese Amerikaner waren „Söhne von Engländern“, ausgestattet mit denselben Rechten und Freiheiten, die esauch im Mutterland gab. So sollte es aus Burkes Sicht jedenfalls sein. Regierung und Parlament in London machten aus seiner Sicht den Fehler, die Kolonisten nicht als gleichberechtigte Bürger zu behandeln.
Das britische Unterhaus am Ende des 18. Jahrhunderts, Gemälde von Anton Hickel, 1793-95.
National Portrait Gallery
Noch interessanter ist der Fall Indiens, denn Burke wandte sich nicht gegen die britische Herrschaft über Teile des Subkontinents, sondern beklagte nur die Art dieser Herrschaft. Der Machtmissbrauch und die ausbeuterischen Praktiken der East India Company waren aus seiner Sicht deshalb zu kritisieren, weil Briten überall dort, wo sie herrschten, wie Briten herrschen sollten, das heißt im Einklang mit den in Großbritannien geltenden zivilisatorischen und rechtlichen Standards. Der autochthonen Bevölkerung wollte er einerseits ihre kulturellen Eigenheiten lassen. Religiöse und rechtliche Traditionen waren zu respektieren, die Briten sollten sich hier nicht einmischen. Auf der anderen Seite ging Burke so weit, von „unseren beladenen Mitbürgern in Indien“ zu sprechen. Das Empire hat sich dann ganz anders entwickelt, als Burke es sich vorstellte. Die Herrschaft über andere Völker – wie die der Briten über die Iren – war aus seiner Sicht vertretbar, nicht aber die Unterdrückung der unterworfenen Völker. Es ist fraglich, ob das überhaupt möglich gewesen wäre.
„Von Burke stammt die beste Definition dessen, was eine Partei sein sollte."
L.I.S.A.:Heute ist oft von einer Krise der parlamentarischen Repräsentation die Rede. Diese äußert sich unter anderem in den wiederkehrenden Diskussionen um Bürgerräte, Quotenregelungen oder direktdemokratische Verfahren, die der Wahl von Abgeordneten zur Seite gestellt werden sollen. Edmund Burke war nahezu drei Jahrzehnte Parlamentarier und hat immer wieder über die Aufgaben eines Parlamentsmitglieds nachgedacht. Lassen sich aus seinen Überlegungen noch Einsichten für die demokratische Realität im 21. Jahrhundert gewinnen?
Prof. Oppermann:Das glaube ich schon. Burke hat zum Beispiel zum Leidwesen seiner Wähler in Bristol die Idee des freien Mandats entwickelt und politisch begründet. Er sei nicht Abgeordneter von Bristol, sondern Abgeordneter des Parlaments, sagte er. Das ist eine für den Parlamentarismus zentrale Idee. Burke stand für das Ideal eines direkt gewählten Abgeordneten, der seinen Wählern verpflichtet, aber nicht von ihnen beauftragt ist. Das Verhältniswahlsystem, in der der Repräsentant zugunsten der Partei zurücktritt, hätte ihn irritiert. Auf der anderen Seite stammt von ihm, die – wie ich finde – beste Definition dessen, was eine Partei im positiven Sinne sein sollte, nämlich „eine Vereinigung von Männern, die mit ihrem gemeinsamen Handeln auf der Grundlage einiger bestimmter Prinzipien, denen sie alle zustimmen, dem nationalen Interesse dienen.“ Nicht die Partei sollte also im Vordergrund stehen, sondern das Nationalinteresse, also das Gemeinwohl. Sich darauf zu besinnen, ist sicher nicht verkehrt.
Darüber hinaus zeigt Burkes Karriere, die Art, wie er im Parlament auftrat und rhetorisch zu überzeugen versuchte, die Kraft des Repräsentativsystems und des Parlamentarismus als „government by discussion“. Nicht ohne Grund hat Carl Schmitt ihn als typischen Vertreter des liberalen Parlamentarismus geschmäht.
Dass es so etwas wie direkte Entscheidungen von Bürgern geben könnte, hätte Burke nicht verstanden. Das heißt aber nicht, dass es nicht politische Systeme geben kann, in denen direktdemokratische Elemente sinnvoll sind und den Liberalismus des Systems nicht beeinträchtigen. Burke stimmte mit Montesquieu darüber ein, dass ein politisches System den historischen und kulturellen Gegebenheiten eines Volkes entsprechen müsse. Er glaubte nicht, dass der britische Parlamentarismus überall funktionieren würde. Er war für die meisten Staaten ein nicht zu erreichendes Ideal. So dachten auch noch die britischen Liberalkonservativen im 19. Jahrhundert, für die die britische Verfassung die beste der Menschheitsgeschichte war und nirgends nachgeahmt werden konnte.
Und wenn Sie mich nach einer wichtigen Einsicht aus Burkes Beispiel oder überhaupt dem britischen Parlamentarismus seiner Zeit fragen, würde ich sagen, dass gerade das liberale System nicht ohne starke politische Führung auskommt, wenn sie gegen ihre Feinde gewappnet sein möchte. Wenn die politische Klasse keine Führung bietet, wenn sie ihren Aufgaben nicht gerecht wird, dann dauert es nicht lange, bis sich Demagogen diese Situation zunutze machen. Davon war Burke überzeugt.
Prof. Dr. Matthias Oppermann hat die Fragen der L.I.S.A.Redaktion schriftlich beantwortet.
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